Unterkühlte Betrunkene in Haftzellen - kurz

Sehr geehrter Besucher,
lieber Arztkollege und Bereitschaftsarzt,

der Münchner Bereitschafts- und KV-Poolarzt Dr. Gero Winkelmann bringt das Thema 'Gefährdung von Betrunkenen in Polizei-Haftzellen', die wegen Suizidgefahr nackt ihren Rausch ausschlafen sollen und von Auskühlung bedroht sind, zu Sprache.

In einer Information unter Münchner Polizei-, Ärztlichen- und Klinik-Institutionen stellt Dr. Winkelmann am 27.4.2019 die Frage, ob er im Rahmen einer sog. Gewahrsamtauglichkeitsuntersuchung in einer (Münchner) Polizei-Inspektion den betrunkenen Insassen überhaupt gewahrsamstauglich schreiben kann, wenn dieser - bis auf die Unterhose bekleidet - NACKT auf der kühlen Pritsche und bei normaler Raumluft liegen muss, nur um zu verhindern, daß er mit einem Hemd oder eine Decke SUIZID begehen kann.
Es besteht die akute Gefahr einer (weiteren) UNTERKÜHLUNG.

Dr. Winkelmann erwartet Stellungnahmen aus dem Kollegenkreis und von den angefragten Institutionen des Gesundheitswesens.
Es geht auch um den drohenden Vorwurf einer Gefährdung der Gesundheit von hilflosen Personen während einer Ausnüchterung in Haftzellen.

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Information + Anfrage an Münchner Polizei- und Gesundheitsinistitutionen

Am 27.4.2019 hat Dr. Gero Winkelmann folgende Information und Anfrage an Münchner Institutionen von Polizei, Ärzteschaft / Rechtsmedizin, Kliniken versandt:
 

Betr.:     Ärztlicher Notdienst:  -   Betrunkene zur Ausnüchterung in Polizei-Haftzellen

Hier:      UNTERKÜHLUNG bei (fast-) NACKTHEIT (ohne Decke) wege drohender Suizidgefahr in der Zelle

              Frage des korrekten ärztlichen Verhaltens bei der Gewahrsams-
              tauglichkeitsuntersuchung – künftig nur noch klinische Einweisung?

Sehr geehrte Leiter und Verantwortliche,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren,

 

hiermit möchte ich Sie auf eine neue, ungute Praxis in Haft- und Ausnüchterungszellen bei der (Münchner) Polizei und Bundespolizei (Bahnhöfe) aufmerksam machen:
 

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Beschreibung des Problems Gewahrsamkeit und Unterkühlung

Als hauptberuflicher Notdienstarzt in München und Oberbayern erlebe ich zunehmend bei Gewahrsamstauglichkeitsuntersuchungen, daß stark Betrunkene in der Zelle NACKT (nur mit Unterhose bekleidet) bei Raumtemperatur (19-20 Grad) auf der kalten Pritsche liegen, ihren Rausch ausschlafen sollen und dabei auskühlen.
(Einige wenige Leute beklagen sich dann bei mir als Arzt über die Kälte; das ist gut verständlich.)


Meinem Hinweis an die Beamten, gleich eine Decke zu bringen und den Menschen zuzudecken, wird entgegnet, neuerdings dürften aus rechtlichen Gründen KEINE Decken mehr ausgegeben werden,  da akute SUIZIDGEFAHR bestünde.
Man könne den Menschen nicht ständig im Auge haben. (Nur alle 20 Min.)
Durch vorenthaltene Kleidung und Decke wolle man verhindern, daß sich der Betrunkene in der Haftzelle etwas antue.

Aktueller Fall: Am Di, 23.4.2019 habe ich  bei der Fahrt im Ärztlichen Notdienst zufällig gegen 2 Uhr am Leuchtenbergring (München) einen Betrunkenen in der Grünanlage liegen gesehen und mich dann entschieden, den Mann lieber in die KLINIK zu schicken, statt in die Haftzelle der nächsten Polizeiinspektion, da ihm dort eine weitere Unterkühlung drohte.
 

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Es stellen sich ärztliche Fragen:

Daher stellen sich folgende ärztliche Fragen:

a)  der (teuren!) stationären Einweisung zur Ausnüchterung, nur um eine Unterkühlung der gefährdeten Betrunkenen in der Haftzelle zu vermeiden.

            Eine solche ungewohnte Praxis aber belastet die Staatskasse bzw. die Krankenkasse (= eiliger Transport per RTW, Klinikaufenthalt, Aufwand).

            Und ich als ÄBD-Arzt muss mir den Vorwurf gefallen lassen, übertrieben und teuer zu handeln…

b)   Andererseits bestätige ich durch meine Unterschrift, daß der betrunkene Mensch NACKT gewahrsamstauglich (ab und zu auch hafttauglich) ist, ich aber weiß, dass dort eine Unterkühlung wegen unmenschlicher Unterbringung (OHNE DECKE: Frieren, Schädigung einer hilflosen und gefährdeten Person) droht!

 

c)  Bin ich bei Bestätigung der Gewahrsamstauglichkeit haftungsrechtlich gegenüber der Polizei und meinem Patienten in Schuld?
   Zumal mir als Arzt ja die ‚Praktiken‘ bei der Polizei bekannt sind und ich somit wissend den Betrunkenen einer Tortur und einer Schädigung aussetze?


d)  Und wie steht es mit der reinen Menschlichkeit von mir als Arzt, einen betrunkenen Mitmenschen ‚dienstlich‘ in der Zelle frieren zu lassen?  (Brrrrr…)

e)  Wie kann man dieses neu aufgetauchte Problem der NACKTEN Unterbringung bei der Polizei lösen?

 

           (Anwärmung der Haftzellen auf 37 Grad??
            Sind die Münchner Kliniken darauf eingestellt, solche primär nicht lebensbedrohlich erkrankten Menschen – oft auch ohne deutsche Krankenversicherung –
             aufzunehmen und mehrer Stunden lang zu versorgen?)

 

Bis keine gute Lösung für alle drei Beteiligten (Insasse, Notdienstarzt, Polizeiwache) vorliegt, werde ich von Unterkühlung bedrohte Betrunkene als NICHT-gewahrsamstauglich beurteilen.
 

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Mit freundlichen Grüßen
Dr. G. Winkelmann

Brief als Pdf-Datei:   Mehr 

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Antworten und Lösungsmöglichkeiten

Dr. G. Winkelmann hat aus dem Kreis der Bereitschaftsärzte und von den angefragten Institutionen folgende Antworten erhalten:

1) Arzt aus Oberbayern: 
Unser ärztliches Verhalten soll als oberste Priorität geprägt sein vom Menschlichkeit und Mitgefühl, verbunden mit Verstand ...

2) Allgemeinärztin aus München:
Wir sind nicht nur mitschuldig, sondern tragen allein die Verantwortung.
Deshalb möchte die Polizei von uns doch die Bescheinigung der Gewahrsamstauglichkeit !

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Schluß

Vielen Dank für Ihren Besuch und Ihr Interesse!

Mit freundlicher Empfehlung
gez. 


Dr. (I) Gero Winkelmann, Prakt. Arzt

 

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